Wie stellt man so etwas an?

Diese Frage stellte sich bald, denn Fotos alleine waren mir doch zu eindimensional. 2009 nahm ich deshalb meine Videoausrüstung samt Stativ mit in die Hallen und filmte einfach die schönsten Graffitis ab – mit interessanten Perspektiven, Nahaufnahmen usw. Das befriedigte aber nicht, weil es einfach zu statisch war. Ich bemerkte nämlich, dass seit meinen letzten Besuchen immer wieder neue Graffitis entstanden. So war schnell die Idee geboren, dass man versuchen müsste, mit den Künstlern Verbindung aufzunehmen. Aber wie? Es war ja alles anonym. Mit angeklebten Plakaten an einigen Flächen baten Klaus Fleischmann und ich als Mitglieder des Videoclubs Bamberg die Graffitikünstler, sich für ein Videoprojekt zu melden. Und tatsächlich, einige Tage später meldete sich der „Chef“ einer mehrköpfigen Gruppe bei meinem Videokompagnon per Telefon. Nach dem ersten vertrauensvollen Abtasten auf neutralem Boden war man sich einig, dass wir ein HD-Video mit drei Kameras drehen durften. Unter dem Vorbehalt allerdings, dass dies unter Verschluss zu halten sei, solange die Gebäude existierten. Denn das Anbringen von Graffitis an zum Abbruch vorgesehenen Gebäuden ist trotzdem Sachbeschädigung, auch wenn sie meist geduldet werden. Also war die Doku zunächst nur für die Künstler Cane, Venom, den anderen und uns privat gedacht. Kostenlos natürlich. Ihre Graffitis enthielten als Siegel stets die drei Buchstaben „TDN“ – „Tanz deinen Namen“ angehängt.
Im August 2010 war es dann soweit. An zwei Wochenenden (jeweils Samstag früh bis Sonntag Abend) filmten wir zusammen mit Klaus und Agi Fleischmann die Entstehung eines futuristischen Kolossalgemäldes im Ausmaß von gut 12 m Breite und 6 m Höhe – nur von kurzen Brotzeitpausen unterbrochen.


Nach den Filmaufnahmen folgte am Videoschnittpult wochenlanges gemeinsames Sichten, Bildschnitt, Musikuntermalung und Tonmischung aus vielen Stunden Aufnahmematerial. Einen Teil der entstandenen Interviews fügten wir chronologisch in den Entstehungsprozess der Graffitis ein. Interessant und spannend war für uns, wie sie zu dieser Ausdrucksform fanden, zum Beispiel von der Hip-Hop-Szene her kommend. Kurios, dass das Graffitisprayen weitgehend eine Männerdomäne ist. Warum das so ist (zumindest damals), sollte mal wissenschaftlich untersucht werden. Wir erfuhren weiter, dass es Verbindungen zu etlichen anderen Graffiti-Gruppen in Deutschland gibt und man bemüht ist, die verschiedenen Techniken immer mehr zu verfeinern. Wenn man aktuelle Graffitis sieht: Die Darstellungen sind immer raffinierter „durchkomponiert“.
Für unser Videoprojekt arbeiteten die Beiden mit kunstvoll ausgestanzten riesigen Pappschablonen, auf deren Ausschnitten sich, mit mehreren Farbauflagen an die Wand gesprüht, das eigentliche Graffiti ergab. So kreierten sie im Mehrschichtverfahren Darstellungen, die sogar aus der Nähe betrachtet ungemein detailreich gerieten. Aber vorher wurde die Wand gesäubert, dann grundiert. Fotos von den Dreharbeiten habe ich in die Seite integriert, die die verschiedenen Stationen des Vorhabens illustrieren. Einige Fotos aus dem Projekt fanden auch den Weg in meine Fotoausstellung 2015 in der vhs Bamberg-Stadt. Man könnte natürlich einwenden, warum die doch für nur für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen Graffitis nach 12 Jahren quasi ihre „Wiederaufstehung“ feiern: Es war einfach reizvoll, den Entstehungsprozess aus nächster Nähe verfolgen zu dürfen! So etwas kann man nicht einfach vergessen. Wir haben Künstler erlebt, die freimütig erzählten, wie sich ihre Leidenschaft zu diesem Genre hin entwickelte. Beeindruckend die Fantasie und Ausdauer über die Jahre, in denen sie ihre Kunst weiter verfeinerten.
Unser auf 26 Minuten limitierter Film bekam zunächst den Titel „Dem Tode geweiht“. Einer der Künstler wählte genau diese Worte im Verlauf der Dreharbeiten, weil das seinen Empfindungen entsprach.
Beim internen Clubwettbewerb fand der Film großen Anklang und wurde deshalb an überörtliche Wettbewerbe weitergemeldet. Klaus Fleischmann fertigte schließlich aus dem Material eine Kurzfassung „Endzeitstimmung“ für den Wettbewerb „35. Bayerische Film + Videofestspiele“ (Amateurfilmer) an. Am 06.04.2014 wurde die Produktion mit dem „Bayerischen Löwen“ in Porzellan prämiert. Die Teilnahme an den – öffentlichen – Bamberger Kurzfilmtagen (nach dem Abbruch der Ziegeleigebäude) war dagegen nicht von Erfolg gekrönt.

Der prämierte Film:

Regie, Schnitt: Klaus Fleischmann
Drehbuch, Kamera: Klaus Fleischmann, Gerd Müller
Das war die kurze Inhaltsangabe zum Video im Programmheft der Kurzfilmtage:
„In einer still gelegten Fabrikhalle entsteht ein Graffitikunstwerk.“